Sieben Eintagsfliegen kleben an meinem Nasenbein, im Winkel mei­ner Augenlider. Seit sechs Tagen kommt jeden Morgen eine neue Ein­tagsfliege hinzu. Ich kann wach liegen und meine Hände über Nase und Augen halten, sie mit Pflaster, Verbände und Cremes schützen: an jedem Morgen eine neue Fliege. Mit dem Fingernagel kann ich sie nicht abkratzen, nein, ich pralle sogar vom Widerstand ihrer gehärte­ten Flügel zurück. Jeden Morgen, seit sieben Tagen.

Ich sehe in den Spiegel. Rechts und links, entlang des Nasenflügels, entlang der Wände zu den Augen drücken sich leblos Fliegenleiber, rechts vier, links drei. Regungslos baumeln die Beinchen herab.
Ich nehme die Pinzette aus dem Kästchen des Spiegelschranks in der Küche. Leicht presse ich die Pinzette, bis sich die Zangenenden auf ein, zwei Millimeter Breite schließen. Rücke sie näher an das rechte Auge, wage mich an einen der Fliegenkörper. Doch dann blinzle ich und alles ist wieder verloren.

Heute muss es aber in Ordnung gebracht werden. Ich zerre mit der Pinzette an den seidenen Fliegenbeinchen. Einzig die Haut zwischen Jochbein und Nasenflügel wölbt sich nervös nach vorne und springt sofort wieder an seinen Ausgangspunkt zurück. Jetzt klebt die Pin­zette an den Beinchen, läßt sich weder durch Zerren noch Zurren lösen. Ich schließe die Augen. Weiße Punkte, die zu hellen Sternen werden, tanzen, taumeln und irren durch die Nacht meiner Augen. Ich unter­drücke einen ärgerlichen Aufschrei. Reiße die Augen auf, die Pinzette baumelt an den Beinchen.

Gestern Abend bereitete ich die Tinktur vor. Ich hatte Vorahnungen. Träufle jetzt die Tinktur auf den Waschlappen. Lege meinen Kopf zurück und den Waschlappen auf den Nasenflügel, auf die Augen, auf die Pinzette und damit auf die sieben Eintagsfliegen.
Vorsichtig, gleichmäßig und ruhig. So wie ich schon oft alte Farbe von antiken Möbeln entfernte, reibe ich den Waschlappen über die Ein­tagsfliegen. Sie sind steinhart. Ich träufle die Tinktur auf den Waschlappen, presse ihn tief auf mein Gesicht, die Augäpfel. Ich spüre das grobe Gewebe des Waschlappens und die leichte Erhebung der Fliegenleiber. Ich scheure den Waschlappen über sie. Das Atmen wird schwer. Die Lungenflügel arbeiten gut, bis ich keu­chen, husten, von den Fliegen ablassen muss. Nehme den Waschlap­pen von den Augen. Speie weißen, breiigen Speichel in das Wasch­becken. Trinke einen Schluck Wasser, dann ein Gläschen Schnaps.

Ich rücke einen Stuhl an das Waschbecken, nehme den Rasierspiegel und setze mich. Ich fahre nicht mit den Fingern über die Nasenflügel, sondern halte den Rasierspiegel vor die Augen: sieben Eintagsfliegen, keine weniger, die Beinchen, die Pinzette bau­meln weiter herab. Lege meinen Kopf zurück in den Nacken. Nehme in die rechte Hand die Tinktur, in die linke den Waschlappen. Lege den Waschlappen auf die Fliegen. Sprenkle die Tinktur auf den Waschlappen, reibe und reibe und reibe.

Nehme die Zahnbürste aus dem Spiegelschrank; sprenkle die Tinktur über die schwarzen Erhebungen. Die Tinktur fließt um das Nasen­bein, damit muss es auch in die Eintagsfliegen dringen. Ich kratze mit der Zahnbürste über sie. Ich schließe die Augen, die Tinktur fließt um die Augenbrauen.

Minute um Minute wirkt die Tinktur ein. Gieße Tinktur nach, damit der Pegel gehalten wird, die Leiber immer wieder damit attackiert werden. Gleichmäßig atme ich ein und aus. Die Pinzette löst sich von den Beinchen, rutscht an meiner rechten Nasenwand entlang, berührt meine Lippen und schlägt hell auf die Steinplatten auf. Die erste Etappe ist gewonnen. Nehme den Waschlappen vom Gesicht, öffne die Augen, ein Brennen von tausenden Stichen. Ich will nach einem Handtuch greifen, finde es nicht, stolpere, schlage auf den Fußboden auf.

Beim Aufwachen taste ich sofort nach den sieben Eintagsfliegen. Keine fehlt. Die Tinktur hat nicht geholfen. Ich öffne die Augen, Atmen ist schwer. Der Raum liegt im Dunkeln, tiefe Nacht. Mein Mund leckt Blut, süß und naß. Ich versuche aufzustehen. Ein neu­geborenes Fohlen könnte es nicht besser machen. Ich falle wie­der. Ich verschnaufe, taste nach dem Waschbecken, ziehe mich an ihm hoch. Lehne mich erschöpft an die Wand. Kleine weiße Punkte vor Augen, die heller, größer, zu Sterne werden, die tanzen, taumeln. Graue, dicke Punkte flattern um die Sterne. Die Punkte werden schnell größer: fette Schmeißfliegen, die immer größer und größer werden, so groß wie Spatzen. Sie kommen immer näher und näher. Ich will nach ihnen greifen, bekomme sie nicht zu fassen.

Ein Werkzeug, ein Verteidigungsmittel suchen! Ich ziehe wahllos eine Schublade auf, taste im Dunkeln: ein Messer, ein Fleischermesser, schwer und ruhig in meiner Hand. Ich warte auf sie. Die Messer­spitze richte ich auf die Ungeziefer aus, die grau und summend um mich schwirren, die sich meinen Augen nähern. Die mächtigste der Schmeißfliegen verfolge ich mit festen Blicken. Sie ist fast so groß wie eine Rabenkrähe, also nicht zu verfehlen. Ruhig und gefasst nähere ich mich der Schmeißfliege. Sie weicht aus. Meine Nasenflügel juc­ken, schmerzen: die sieben Eintagsfliegen. Sie fliegen auf und davon, mein Nasenbein ist wieder frei. Die Schmeißfliege empfängt sie mit offenem Maul. Meter um Meter nähere ich mich ihr. Meine Eintags­fliegen sind in ihr verschwunden. Geschwächt vom Fraß meiner Ein­tagsfliegen flattert die Schmeißflliege unsicher auf mich zu. Aus vollen Leibeskräften, die ich nun ganz in meine Hand, in das Flei­schermesser lege, durch­bohre ich den hornigen, aber unwahrschein­lich glatten Leib.