Wir, mein Freund, der Schwarz-Weiß-Wal und ich, das Kätzchen Schubidu, hatten schon viel von ihr gehört. Aber als wir die Graue Stadt mit eigenen Augen sahen, bekam ich sofort ein graues Schnurrbarthaar und der Schwarz-Weiß Wal wurde an einer winzigen Stelle am Bauch grau, so grau war die Graue Stadt. Wir fürchteten uns nicht, nein, denn wir hatten schon soviel gesehen und erlebt: das Brennende Dorf, das Schwarze Meer, die Versunkene Stadt und noch viel viel mehr. Jetzt wollten wir die Graue Stadt erkunden und ein neues Abenteuer bestehen.
Wie zum Empfang stand ein großer, langer Leiterwagen am Strand. Schwupp, flog mein Freund der Schwarz-Weiß-Wal mit der nächsten hohen Welle direkt auf den Leiterwagen. Katzen- und Wallieder singend kamen wir in die Graue Stadt. Das gab natürlich ein großes Aufsehen. Da zog ein kleines, weißes Kätzchen einen Schwarz-Weiß-Wal, auf einem großen Leiterwagen durch die Graue Stadt. Die Menschen in ihren grauen Häusern sahen aus ihren grauen Wohnungen, mit grauen Gesichtern und grauverschleierten Augen und sperrten sofort wieder Türen und Fenster zu. Dahinter hörte man sie in einer gräulichen Sprache Selbstgespräche führen. Vielmehr sie sprachen nicht, sie stießen unverständliche Laute von sich, wie ”Glipr, tzar, drup, laf, dir, gön, gjo”.
Ich klopfte an eine Tür, die Tür wurde abgeschlossen. Der Schwarz-Weiß-Wal hob mich mit einem Wasserstrahl aus seinem Luftloch so hoch, dass ich in ihre grauen Wohnungen sehen konnte. Freundlich versuchte ich mit den Graunern zu reden, die gerade ihre Fensterläden herunterließen. Die Grauner hörten nicht zu, verzogen ärgerlich ihren grauen Mund und machten schnell ihre grauen Häuser dicht.
”Denen fehlt Farbe!”, sagte der Schwarz-Weiß-Wal.
Ich sah mich um, der Schwarz-Weiß-Wal hatte recht, war hier doch alles ein Grauerlei, selbst der Himmel grau, die Blumen grau und sogar die Sonne blieb grau den ganzen Tag über.
”Wir könnten ihnen die Häuser streichen!”, sagte der Schwarz-Weiß-Wal.
”Und dann ein großes Fest mit Lampions, Erdbeer- und Vanilleeis, bunten Pappnasen und großem Feuerwerk!”, jauchzte ich.
Uns entgegen kam aber nun eine Frau in grauer Uniform, mit grau glänzenden Orden, neben ihr lief ein dicker Mann. Wir mußten laut lachen, als ob uns eine dünne und eine dicke Kartoffel entgegenpurzelte.
”Grr, um, di, gr, uli, da-dr-gjo”, raunte die Frau, und graue Orden wackelten an ihrer Brust.
”Wie ihr hier hergekommen seid?”, übersetzte der dicke Mann.
”Vom Meer kommen wir und wollen die Welt sehen, die Menschen kennenlernen, mit ihnen reden und tanzen.”, sagte ich.
”Uff, di did uffgrr, drr, grr, brr, gra!!”, sagte die graue Frau.
”Ihr seid hier nicht willkommen, verschwindet!”, übersetzte der dicke Mann und kratzte sich am dicken Bauch.
”Ihr kommt von zu weit, vom Meer, das riecht man schon. Und wie ihr überhaupt aussieht. Könnt ihr euch nicht einmal anständig grau anziehen. Und eure Gesichter weiß, wie seit einem Jahr nicht mehr gegraut. Verschwindet hier, sonst…”
Die graue Frau hatte inzwischen all ihre Orden zu einer Pistole zusammengebastelt, eine grau gefüllte Kugel aus ihrem Mund genommen, geladen, zielte auf den Schwarz-Weiß-Wal und drückte ab. Ein grauer Strahl traf den Schwarz-Weiß-Wal. Grau, alles grau, der ganze Schwarz-Weiß-Wal grau.
Schnell wie der Wind nahm ich die Schnur des Leiterwagens in mein Maul, zog den Leiterwagen mit meinem Freund, dem Wal hinter mir her, bis ich außer Atem wieder am Meer stand. Bewegungslos, ja wie tot lag der Schwarz-Weiß-Wal auf dem Leiterwagen, wollte und wollte nicht von selbst in das Meer rutschen. Seine Augen grau verschleiert.
”Traurigkeit, tr, ddar, gr, tie”, weinte der Schwarz-Weiß-Wal.
Schnell, ganz schnell ließ ich den Leiterwagen in das Meer gleiten, die nächste Welle nahm ihn mit, das Meer sprudelte grau, graue Wellen brandeten und ließen grauen Strand zurück. Ich sah meinen Freund bereits nicht mehr, so grau war das Meer geworden. Stunde um Stunde sah ich in das Meer. Dann weinte ich, weinte um meinen armen Freund, den Schwarz-Weiß-Wal, der im grau gewordenen Meer verschluckt blieb. Schon wurde mein weißes Fell an einigen Stellen grau.
Plötzlich schäumte das Meer, blubberte und schließlich rülpste es auch noch. Doch das Rülpsen kam vom Schwarz-Weiß-Wal, der mit seiner weißen Walschnauze das graue Meerwasser durchstieß.
“Ich hab’ jetzt genug von dieser ganzen Traurigkeit!”, sagte der Schwarz-Weiß-Wal und rülpste gleich dreißig mal hintereinander. “Verzeihung, aber mir ist das ganze Grau so über geworden, das ich davon rülpsen muß.”
Und so rülpste der Schwarz-Weiß-Wal noch die ganze Nacht über, dazwischen erzählte er, wie grau es ihm war als er grau geworden war und einsam im grauen Meer liegen mußte.
Am nächsten Morgen war er wieder ganz der alte Schwarz-Weiß-Wal, kein bißchen Grau um die Flossen und schon sang er wieder sein altes Wallied.
“Wir lieben das Meer und die Erde
fliegen über den Mond und die Sonne
und haben uns alle so gerne.
Deshalb singen wir alle zusammen:
Wir lieben das Meer und die Erde
fliegen über den Mond und die Sonne
und haben uns alle so gerne
Verivariwin, kingelklingelklong
ratazitabin, schnatterkitterdong
und haben uns alle so gerne.”
Und ich schnurrte, maunzte und fauchte dazu, gerade wie ein hundertköpfiges Orchester, mit Geigen, Pauken und Trompeten.
“Und jetzt laß’ uns die Häuser in der Stadt farbig streichen: sonnengelb, knallrot und lila auch!”
“Und himmelblau und walweiß und noch viel mehr!”, freute sich der Schwarz-Weiß-Wal und rülpste ein letztes Mal.
So verbrachten wir den nächsten Tag damit Farben anzurühren. Der Schwarz-Weiß-Wal nahm aus der Tiefe des Meeres die blaue Farbe. Wir zerrieben Gras für Grün, stampften rote Tollkirschen ein für Rot, rührten Gelborange bei Vollmond an und sonnengelb am Mittag auf dem offenen Meer. An Land mischten wir die Farben miteinander. Denn die ganze Grau Stadt sollte leuchten wie ein Leuchtturm und farbenfroh wie ein Regenbogen sein.
Gleich beim nächsten Sonnenaufgang zogen wir los. Der Schwarz-Weiß-Wal hatte sich so klein wie möglich auf dem Leiterwagen gemacht, damit all die Farbeimer Platz hatten, manche hatte er sogar in sein Riesenmaul genommen. Schon verschlossen sich Türen und Fenster in den grauen Straßen. Es machte “Grum”, es machte “Grasch”. Ein grauliches Spektakel, das mit den grauen Lichtern am Straßenrand nicht besser wurde, auch nicht mit der grauenhaften Musik, die aus den Lautsprechern über den Straßenlaternen kam, wohl um die Grauner aus dem Schlaf zu reißen. Es machte “Wirk abiqurrs, wrrskrksls”, ein furchtbarer Krach, schlimmer als kratzende Fingernägel auf einer Kreidetafel.
Aber der Schwarz-Weiß-Wal und ich, das Kätzchen Schubidu, blieben in der grauen Stadt, wir hatten keine Angst. Wir strichen bereits das elfte Haus, strichen die Fensterläden, die Fassade und die Tür -aber hoppla, da strich der Schwarz-Weiß-Wal versehentlich gleich einen Grauner mit, der gerade aus der Tür wollte.
“Ausgerechnet heute!”, sagte der Grauner.
“Wie?”, staunten wir, “Sie sprechen ja gar nicht graulich!”
“Ausgerechnet heute! Wo ich doch heute bei Müller-Schmidt sein muss. Hab alles getan, was zu tun ist. Und jetzt das!”
“Wir können Sie auch wieder grau streichen -wenn Sie wirklich möchten!”
Denn der Grauner war über und über sonnengelb, mit einem Strich himmelblau auf der Nasenspitze.
“Nun jetzt ist es so, wie es ist. Muß ich eben bis morgen warten, bis ich wieder grau bin.”, und wollte schon wieder in sein Haus zurück.
“Nein, nicht doch. Warten Sie. Wieso sprechen Sie wie wir?”
“Ich spreche nicht wie ihr, ich bin ein Grauner, und Grauner, das weiß jeder Grauner, sprechen nicht so wie die anderen. Grauner sind grau, die anderen sind anders. Sonst noch was?”
“Und war hier schon immer alles grau?”
“Was für eine Frage! Das kann nur von einem anderen kommen. Grau sind wir, grau ist unsere Farbe. Grau ist alles was wir haben, was wir möchten, was wir können. Grau ist einfach unsere Lieblingsfarbe. Das sagte uns Herr Müller-Schmidt bei unserer Geburt und sagt es uns beim Gebet, sagt es auf unseren Grauweihen, den Grauzeiten, den Graufesten und auch noch wenn wir krank oder im sterben liegen. Grau ist des Grauners Farbe. Grau: das sind wir. Noch was?”
“Wer ist Herr Müller-Schmidt?”
“Herr Müller-Schmidt ist der Ehemann von Frau Müller-Schmidt. So, das ist aber jetzt genug!”
Und damit verschwand der Grauner wieder in sein Haus, das schon sehr sonnengelb war. Denn wir hatten das Haus von unten bis oben sonnengelb gestrichen, die Türen, Fenster und das Dach himmelblau.
“Ich glaube wir müssen auch die Grauner streichen.”, sagte der Schwarz-Weiß-Wal. “Du Schubidu, die sprechen nur so grauenvoll weil sie grau sind. Aber ich hab’ ihn über und über sonnengelb angemalt, und auf der Nasenspitze himmelblau. Deshalb hat er wieder reden können -nicht wahr Schubidu?”
Ja, das stimmte. Was nutzen den Grauner farbige Häuser wenn sie selbst grau blieben? Häuser anstreichen ist ja leicht. Aber wie streicht man Menschen. Die laufen weg, wenn sie angestrichen werden sollen. Bestimmt würden die Grauner weglaufen, wenn man sie kirschrot oder pfefferminzgrün anstreichen wollte. Und so würden sie immer grau bleiben. Wäre das nicht traurig?
Und so saßen wir vor dem frisch gestrichenen, sonnengelben Haus und grübelten darüber wie wir die Grauner farbig streichen könnten. Die grauen Straßenlaternen erloschen nach und nach, die Grauner strömten zu ihrem Grauwerk. Überall war graue Stille, die Grauner unterhielten sich nicht. Erst als ich mit dem sonnengelben Pinsel einem Grauner zuwinkte, zuckte dieser zusammen und stammelte “Kqrk, wrg”. Ich winkte ihm fröhlich mit den Pfoten zu, da flutschte ein sonnengelber Klecks auf das Ohr des Grauners.
“Ihgitt!”, machte er da, und “Arghh!”, dann “Ja sowas albernes aber auch!”
“Ui!“, freute ich mich, „Ein Klecks Farbe reicht aus!”
“Was macht ihr denn für Ferkeleien?”, grummelte der Grauner ganz grimmig.
“Wir möchten mit euch ein farbenfrohes Fest feiern!”
“Wir aber nicht. Das sage ich euch, wenn das Müller-Schmidt zu seinen grauen Ohren kommt, dann Gnade euch.”
“Wie heißen Sie?”, fragte der Schwarz-Weiß-Wal, dem nichts anderes vor Schreck einfiel.
“Ich heiße überhaupt nicht, wir heißen hier überhaupt nicht. Es gibt hier nur einen, der heißt, das ist Müller-Schmidt!”, und damit verschwand er im Grau des beginnenden Tages.
“Was nutzt es, wenn die Grauner wie wir sprechen, aber immer noch nicht froher sind?”
Der Schwarz-Weiß-Wal hatte aufgehört die Fenster abendrot anzustreichen und sah mich mit seinen kleinen Walaugen nachdenklich an.
“Gehen wir zu Müller-Schmidt.”, sagte er.
Und so ließen wir die Farbeimer, bis auf einen kleinen sonnengelben, den wir mitnahmen, stehen, und begannen in allen Gassen und Straßen nach Müller-Schmidt zu fragen. Zunächst tupften wir die Grauner sonnengelb an, bis diese Antwort gaben. Doch alle sagten das Gleiche.
“Müller-Schmidt wohnt in der ersten Etage, gleich neben mir.”
Und wir gingen zur Nachbarwohnung, klopften an, tupften den Grauner sonnengelb an -und wieder “Müller-Schmidt wohnt gleich nebenan in der ersten Etage!”
Dazu muß man wissen, das alle Grauner Häuser nur in der ersten Etage mit einer Grauner Familie oder gar nur einem einzigen Grauner bewohnt sind. Zwar sind die Häuser oft vier -oder fünfstöckig, aber immer ist nur die erste Etage bewohnt. Selbst das Erdgeschoß ist unbewohnt. Und so gingen wir von Haus zu Haus. Und die Stadt ist groß. So waren wir nicht einmal ein Straßenzug von tausenden gegangen, hatten gefragt, mit sonnengelber Farbe einige Grauner angetupft, doch immer nur die gleiche Antwort bekommen, da sahen wir voller Schrecken eine Kolonne Arbeiter mit Grauspritzen die bunten Häuser wieder grau machen.
“Wissen Sie wo Müller-Schmidt zu finden ist”, fragte ich die Arbeiter.
“Erste Etage, gleich neben meiner Wohnung.”, schrieen die Arbeiter im Chor und spritzten weiter grimmig graue Farbe auf die Häuser.
“Uff!”, sagte der Schwarz-Weiß-Wal, “Ich will wieder in mein blaues Meer, bunte Fische sehen, und eine Abendsonne ohne graue Häuser.”
Alle Häuser waren wieder grau, selbst unsere Farbeimer waren grau, die abendrote Farbe war grau, das himmelblau war grau, selbst das sonnengelb: grau, grau, fürchterlich graugrau. Nun hatten wir nur noch einen einzigen Farbeimer mit sonnengelb, den ich im Maul meines Freundes in Sicherheit gebracht hatte.
Aus einem der grauen Häuser kam wieder die Frau mit ihren grauen Orden und ihr Übersetzer, der dicke Mann.
“Habt ihr nun endlich genug?”, fragte der dicke Mann, und die Frau begann bereits wieder ihre Orden zu einer Pistole zusammenzubasteln.
Der Schwarz-Weiß-Wal war aber nun ganz rot angelaufen, er war wütend, da war sie also diese Frau, die ihn traurig gemacht hatte. Und mit einem Schwung überschüttete er die Frau mit ihren Orden und den Mann mit seinem dicken Bauch mit der sonnengelben Farbe.
“Müller-Schmidt!”, riefen die beiden Grauner, “Müller-Schmidt, wir haben alles getan für dich. Nun geht es zu Ende. Müller-Schmidt, wir waren treue Kameraden, Müller-Schmidt wir danken dir.”, und wollten sich zum Sterben mit der Nase voran auf den Boden werfen. Aber natürlich stirbt man nicht von sonnengelber Farbe. Und so wehklagten sie noch eine ganze Weile, riefen “Müller-Schmidt … Müller-Schmidt …”, aber Müller-Schmidt kam und kam nicht.
Uns wurde es bald zu langweilig, da wehklagten die zwei, die aussahen wie eine dünne und eine dicke Kartoffel und wollten und wollten nicht aufstehen und wollten natürlich auch nicht fröhlich sein. Und so gingen wir wieder ans Meer. Der Schwarz-Weiß-Wal tauchte ein wenig im Meer, denn er war schon wieder ein wenig traurig geworden, rülpste ab und an, und nahm mich dann in sein Maul, indem ich wie jede Nacht schlief.
Am nächsten Morgen war der Strand voll mit Grauner. Ich ging schnell wieder in das Maul meines Freundes, doch er begann jämmerlich zu rülpsen, und ich mußte nach draußen. Und dort standen sie, tausende und abertausende Grauner, keiner war vom anderen zu unterscheiden, so grau waren sie.
„Ich bin Müller-Schmidt und ich möchte, daß sie von hier verschwinden!“, sagten die Grauner, Männer wie Frauen, im Chor. Keiner sagte das etwa lauter oder leiser, in einem anderen Tonfall, nein, alle hörten sich gleich an. Sie gerieten nicht außer Atem, wiederholten es minutenlang.
„Ich bin Müller-Schmidt. Entweder sie verschwinden oder sie werden grau. Grau ist schön. Sei ein Grauner wie ich.“, und tausende und abertausende Farbeimer mit grauer Farbe purzelten, rollten und stießen auf uns. Wieder brodelte und schäumte das Meer grau. Der Schwarz-Weiß-Wal wurde traurig, ich wurde traurig. Doch bevor wir ganz grau wurden, konnte mein Freund, der Schwarz-Weiß-Wal uns gerade noch ins offene Meer retten. Vier Tage und Nächte rülpsten wir, so über war uns das Grau, diese Traurigkeit der Grauner. Jetzt hatten wir erst einmal genug von der Grauner Traurigkeit und suchten das offene Meer.